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Vorstellung

Servus,

nach langem Mitlesen habe ich nun die Muse und Zeit gefunden auch Mal mitzuschreiben.

Ich bin 34 Jahre alt, arbeite als Unfallchirurg und Orthopäde in einer großen Klinik. Ich bin seit einigen Jahren verheiratet, sie ist ebenfalls Ärztin. Wir haben ein Auto das wir für die Dienste benötigen, rauchen nicht und kochen bzw.  grillen am Liebsten selbst. Kleiderkreisel ist meine Lieblingsklamottenmarke und die Hobbies kosten auch kaum was. Wandern, Radeln oder einen Klettersteig gehen. Mit dem Luftboot raus, Angeln oder irgendwas an der frischen Luft machen. Schwammerlsuchen war gerade diese Jahr super.

Kurzum, wir leben noch fast so wie in unserem Studium und es fehlt uns an Nichts. Den einzigen wahren Luxus, nämlich eine große Reise pro Jahr ist aktuell wegen covid-19 auch auf Eis gelegt.

Wir haben beide Jahre lang im Schnitt  sicherlich 60 Stunden und mehr gearbeitet, Weihnachten oder Silvester verbringen wir jedes Jahr im Wechsel in der Klinik. Es gab auch Wochen gerade in der Sommer Urlaubszeit in denen wir drei Wochenenden am Stück durchgearbeitet haben; das versuchen wir mehr und mehr zu vermeiden und die gesamte Dienstbelastung zu reduzieren. Das klappt auch Recht gut.

Durch ein gewohnt sparsames Leben haben wir fast nebenbei eine gute Summe ansparen können, sodass ein Ausstieg auf Zeit für mehrere Jahrzehnte schon jetzt möglich wäre.

Das Luxusproblem an dieser Situation ist, dass wir den Sinn unserer Arbeit völlig aus den Augen verloren haben. Wenn man nach einem anstrengenden 25 Stunden Dienst heim kommt aber sich so gar nichts vorstellen kann was man sich vielleicht als Belohnung gönnen könnte, fragt man sich schon wieso man da überhaupt noch hingeht. Die Kliniken werden von Horden an Patienten mit Lappalien überrannt. Die Notaufnahme ist voller Hypochonder und fordernden Menschen die hier nicht hingehören.

Ging es einem von euch auch schon so? Was habt ihr als Lösung für diese Situation gefunden? Hat euch eine Auszeit vielleicht den Sinn wieder gegeben oder habt ihr reduziert oder vielleicht auch ganz den. Seid gewechselt?

Freue mich auf eure Gedanken

LG

C

Hallo @chri, 60 Stunden aufwärts klingt auch für Ärzte auf Dauer nach ungewöhnlich viel. Welche Möglichkeiten hättet ihr denn, zurückzuschrauben? Eine befreundete Oberärztin sagte mir gerade, dass sie nun 4-Tage-Woche geht und das außer ihr die meisten Oberärzte in ihrem KKH so machen. Einfach damit zusammen mit den WE-Bereitschaften und Einsätzen am Ende noch erträgliche Stundenzahlen rauskommen.

Ich persönlich habe temporär auf 45 erhöht, bei maximal 10 pro Tag, und merke, dass noch mehr für mein Wohlbefinden auch zuviel wären. 25-Stunden-Schichten sind außerhalb meiner Vorstellungskraft. 😯

Hallo C.

Wenn Ihr bereits finanziell unabhängig seid, könntet Ihr doch überlegen, ob Ihr jetzt nicht mehr zum Geldverdienen arbeitet, sondern Euren Beruf nur noch aus dem Grund ausübt, aus dem Ihr ihn vielleicht ursprünglich gewählt habt: Menschen zu helfen. Da gibt es ja viele Möglichkeiten - mit Ärzte ohne Grenzen unterwegs sein oder nicht krankenversicherte Menschen kostenlos behandeln oder ...

Zitat von Chri am 23. Oktober 2020, 11:26 Uhr

Das Luxusproblem an dieser Situation ist, dass wir den Sinn unserer Arbeit völlig aus den Augen verloren haben. Wenn man nach einem anstrengenden 25 Stunden Dienst heim kommt aber sich so gar nichts vorstellen kann was man sich vielleicht als Belohnung gönnen könnte, fragt man sich schon wieso man da überhaupt noch hingeht.

Ich glaube das geht vielen so, dass der Arbeitsalltag irgendwann nichts mehr mit dem zu tun hat, wie man sich das vorgestellt hat (oder wie es vielleicht früher mal war).

Deshalb sollte man sicher immer vorher genau überlegen, welchen Beruf man ergreift (machen glaube ich viele aber nicht).

Mögliche Lösungen:

  • Zähne zusammenbeissen und durchhalten bis die Kohle für den Exit reicht oder der Burnout erreicht wird
  • im bestehenden Umfeld besser einrichten (zB Arbeitszeit reduzieren)
  • irgendeine andere Stelle als Arzt suchen, wo es keine Schichten gibt
  • was ganz anderes machen

Das ist der Lösungsraum und letztendlich muß das jeder für sich entscheiden.

Servus,

 

vielen Dank für eure Ideen. Mit einigen davon haben wir auch schon gespielt.

Tatsächlich finanziell frei sind wir noch nicht. Sind ja beide noch relativ jung und haben deshalb hoffentlich auch noch einige Jahrzehnte hier vor uns...allerdings wäre ein Ausstieg über mehrere Jahrzehnte sicherlich drin.

Über eine Arbeit bei einer NGO wie ärzte ohne Grenzen haben wir auch schon nachgedacht, das ginge jetzt noch, allerdings wird's mit Kind schwierig. Ansonsten ist das sicher eine gute Idee um wieder mehr Sinn in seinem Tun zu finden.

Das mit dem Reduzieren ist leider in den schneidenden Fächern ein Problem, weil man dann als eher junge Kollege sehr schnell im OP abgemeldet ist und an seinen Arbeitstagen dann die Notaufnahme oder die Station oder das Gipszimmer schruppen darf. Dann lieber Vollzeit und 2 von 5 Tagen in den OP als drei Tage wie beschrieben.

Durchhalten bis zum Burnout oder bis die Kohle reicht, das hat mir sehr gut gefallen. Allerdings glaube ich sie Chancen stehen 80/20 für Burnout. Eine gewisse Arbeitsmüdigkeit hat sich ja eh schon eingestellt.

 

Ich frage mich nur wie das die Generationen davor geschafft haben. Wie motivieren sich Leute jenseits der 50 noch Dienste zu machen, nachts zu operieren und nach jedem Dienst einen Tag ihres Lebens völlig übernächtigt wegzuschmeißen? Müde daheim zu liegen und sich über den lauten Rasenmäher vom Nachbarn zu ärgern.

 

LG

 

C

 

 

Zitat von Chri am 23. Oktober 2020, 14:51 Uhr

Ich frage mich nur wie das die Generationen davor geschafft haben. Wie motivieren sich Leute jenseits der 50 noch Dienste zu machen, nachts zu operieren und nach jedem Dienst einen Tag ihres Lebens völlig übernächtigt wegzuschmeißen? Müde daheim zu liegen und sich über den lauten Rasenmäher vom Nachbarn zu ärgern.

Zum einen gibt es Länder, die zeigen, dass es auch anders geht. Zum anderen gab es tatsächlich auch mal ein Leben vor der Fallpauschale und den Privatisierungen. Es ist ein unmenschliches System geworden, war es nicht schon immer.

Also wenn ich das so lese, dann bestätigt mich das nur wieder darin zu sagen, dass wir mittlerweile einfach ein krankes System haben . Wenn Ärzte Gipzimmer putzen müssen....?!

Wie ihr euch in diesem System positioniert, müßt ihr für euch entscheiden. Der Privatier hat es schon richtig formuliert.

 

Zitat von Frisa am 24. Oktober 2020, 18:08 Uhr

Also wenn ich das so lese, dann bestätigt mich das nur wieder darin zu sagen, dass wir mittlerweile einfach ein krankes System haben . Wenn Ärzte Gipzimmer putzen müssen....?!

Wie ihr euch in diesem System positioniert, müßt ihr für euch entscheiden. Der Privatier hat es schon richtig formuliert.

 

Hi,

 

sorry. Das ist bloß ein Ausdruck im Süden Deutschlands. Mit schruppen meine ich das Gipszimmer und die Patienten dort versorgen, nicht es tatsächlich zu putzen. Wenn das so wäre wäre ich sicherlich schon lange weg.

 

C

😀 hätte ich verstehen müssen. Komme schließlich auch aus dem Süden des Landes!

Ich dachte immer, dass eine Pflegekraft/Krankenschwestern/angehende Ärzte eingipsen...

Ja, das Gipsen machen die Pfleger mit einer extra Weiterbildung. Allerdings welcher Gips dran soll, oder ob er schon ganz weg kann oder ob man den Bruch, sollte er sich verschoben haben nun doch operieren sollte, das muss der Arzt entscheiden. Deswegen werden auch etwas ältere Kollegen hier ab und an eingesetzt.

 

C

Ich hab mich jetzt tatsächlich extra angemeldet, um dir zu antworten. Bin schon lange stille Mitleserin im Forum, aber bisher ohne Bedürfnis der aktiven Teilnahme.

Wir sind im gleichen Alter, im gleichen Gewerk tätig, pflegen einen ähnlichen Lebensstil und auch mich beschäftigen/beschäftigten deine Gedanken in beruflicher Hinsicht.

Die meisten Schreiber hier und in der Frugalisten-Szene (wobei ich mich nicht als Frugalistin bezeichnen würde) kommen eher aus den Richtungen Informatik/Ingenieurswissenschaften/Unternehmensberatung so mein Eindruck; von Ärzten hört man trotz guter Gehälter selten.

 

Kurz zu mir:

Ich war schon immer eher sparsam und da mein Partner die ersten Jahre meines Berufslebens noch studiert hat, war auch Lifestyle-Inflation kein Thema. Eine Fernreise im Jahr (natürlich komplett auf eigene Faust geplant und on a budget ;)...) ging immer auf meine Kosten, weil mir das einfach wichtig war.

Ansonsten kleine, aber feine Wohnung; mit Freunden zuhause kochen; wenig Ausgaben für Klamotten, Schmuck oder sonstwas, weil es mich einfach nicht interessiert und man ja eh 80% des Tages Berufskleidung oder Schlafanzug trägt. Vollzeit nach TVÖD und mit 4-5 24h Schichten bleibt da einiges übrig.

Als das 16 Jahre alte Auto, das ich zum Examen bekommen hatte, langsam hinüber war, ließ ich mich auf unserem Mitarbeiterparkplatz inspirieren. Zumindest war das der Plan. Wir fahren jetzt Skoda und Dacia und fühlen uns nicht schlechter als mit 1er BMW, Audi A3 oder Mini Cooper (= 90% der Autos meiner Kollegen) und ja, ich kenne auch Assistenzärzte, die Porsche fahren...das Beispiel könnte man auch auf Wohnungseinrichtung etc. übertragen, ich empfinde mich jedenfalls oft als absolute Ausnahme im Kollegium.

Das Arbeitspensum hat mich anfangs nicht gestört, eine wirkliche Sinnkrise hatte ich aber nach 14 Monaten 12-Schichtsystem Intensivstation.

Wenn man erst nachmittags merkt, dass man bisher eigentlich weder gegessen noch getrunken noch gepinkelt hat. Wenn man abends um 22h nach Hause kommt, vorher schnell bei McDonald’s angehalten oder sich auf dem Sofa einen Döner reinschlingt, man 4-5 Wochenende hintereinander gearbeitet hat und sich am Ende wegen teilweise höchst unethischem Tun trotzdem nur schlecht fühlt.

Wir haben uns dann viel früher als ursprünglich geplant für ein Kind entschieden. Schon die Schwangerschaft hat mich etwas runterkommen lassen (keine Dienste mehr), die 10 Monate Elternzeit dann erst Recht. Ich habe dann mit kleinem Kind eine 6 monatige spezielle Rotation in Vollzeit gemacht, die ich mir vorher „erarbeitet“ hatte, und die mir wieder soviel Spaß gemacht hat wie mein beruflicher Start.

Jetzt leben wir bei der Familie auf dem Land mit großem Garten, Hund und Hühnern.

Ich arbeite 60% in einer Uniklinik und je nach Zeit und Lust noch als Honorar-Notärztin. Ich bin unfassbar dankbar, dass ich mit dieser Teilzeitarbeit soviel verdiene wie andere Berufstätige in Vollzeit. Die große Karriere ist natürlich damit überhaupt nicht möglich, aber mir auch nicht (mehr) wichtig. Zudem lässt mein Fach es zu, als Chirurg sieht es ja schon wieder anders aus, wie du auch schreibst. Wahrscheinlich musst du dich entscheiden: im System bleiben und operieren dürfen oder Alternativen suchen...

 

Kannst du dir ein anderes Fach vorstellen? Du hättest ja sogar einen konservativen Teil in deiner Weiterbildung enthalten (Orthopädie zB auch niedergelassen oder in einer Rehaklinik?)

Oder operativ in der Niederlassung tätig sein?

Ganz andere Wege gehen: MDK/Versicherungen? Gesundheitsamt? (im Ärzteblatt ja zur Zeit jede 2. Stellenausschreibung 🙈)...natürlich andere Vor- aber auch Nachteile im Vergleich zur Klinik.

Wollt Ihr Familie?

Ich werde für mich vielleicht in Zukunft noch ausloten, ob eine Tätigkeit bei der Polizei oder in der Betriebsmedizin eines großen Konzerns in Frage käme.

Auswandern könnte ich nicht (hänge zu sehr an Familie und Heimat), aber viele Kollegen werden in der Schweiz oder Skandinavien glücklich.

Arbeit in Entwicklungsländern habe ich bei vielen Kollegen zwar in der Situation selbst als bereichernd erlebt, die Probleme zurück im deutschen Klinikalltag wurden dadurch nur größer. In Afrika hat man Patienten, die sehr weite Strecken zu Fuß kommen, um überhaupt behandelt zu werden; man verliert Patienten, weil es an einfachster Ausrüstung fehlt...6 Wochen später beschwert sich der deutsche Patient über die Marmeladenauswahl beim Frühstück und die 3 Stunden Wartezeit Sonntags nachmittags in der Notaufnahme.....

 

Ältere Kollegen hatten vor 30 Jahren noch einen ganz anderen Arbeitsmarktdruck, ich erlebe sie auch oft als ausgebrannt und die jahrzehntelange Überarbeitung wurde bezahlt mit diversen privaten Problemen (Scheidungen, Affären, Kinder kaum gesehen, Kettenrauchen, Alkoholsucht.....), aber ist wohl in vielen Branchen mit viel Arbeit und Stress so.

Ich freue mich auf Austausch. 

L

Hi Lizarazuu,

 

Freut mich, dass wir uns über das Leben als Angestellter Arzt ausstauschen können. Deinem Post kann ich eigtl. In jeder Hinsicht nur voll und ganz zustimmen. Gerade diese Situation kennt man im heutigen Krankenhaus System zuhauf.

*Wenn man erst nachmittags merkt dass man eigentlich weder gegessen noch getrunken noch gepinkelt hat. Wenn man abends um 22h nach Hause kommt, vorher schnell bei McDonald’s angehalten oder sich auf dem Sofa einen Döner reinschlingt, man 4-5 Wochenende hintereinander gearbeitet hat und sich am Ende wegen teilweise höchst unethischem Tun trotzdem nur schlecht fühlt."

Genau wegen diesem Gefühl wird irgendwann keiner mehr so eine Arbeit unter solchen Bedingungen machen. Ich kenne keinen anderen Menschen in meinem Freundes und Bekanntenkreis der solche Opfer bringt und gleichzeitig den Sinn in seinem Tun sucht wie wir. 25h am Stück zu arbeiten sind schon mehr als grenzwertig, dann um 3 nachts einen Schockraum adäquat zu managen ist schlicht und ergreifend ein Ding der Unmöglichkeit. Zu dieser Uhrzeit und  nach 20 Stunden Arbeit möchte man selbst nicht sein eigener Patient sein, also geht man mit einem schlechten Gefühl und dem wissen nach Hause, dass man morgen früh um 7 wieder hier steht um das Rad am laufen zu halten und der Hoffnung, dass man bei den Patienten vom letzen Dienst nichts gravierendes übersehen hat.

Auch deine Beobachtung, dass die Sinnkrisen nach humanitären Einsätzen zurück in Deutschland nur schlimmer werden ist absolut korrekt. Man erträgt es schlichtweg nicht mehr. Das gejammere und genörgle, die Drohungen man würde sich über einen Beschweren. Man habe da doch Anspruch drauf etc. Wenn man einmal die Dankbarkeit von Menschen in armen Ländern erfahren hat und sieht, dass das eigene tun dort wirklich etwas zählt, kann ich mir nur schwer vorstellen in Europa mit den Bedingungen wie sie jetzt sind glücklich zu werden.

Ich hätte das niemals gedacht und würde auch Medizin jederzeit wieder studieren, weil mich die Idee der Erforschung und Heilung des menschlichen Wesens immer noch fasziniert. Allerdings kann man in einem solchen System nicht alt werden, man wird nur alt.

Ich werde auch eine Auszeit über ein Jahr machen ,gehe in eine Forschungsrotation und hoffe, dass sich bis dahin wieder Motivation gefunden hat. Wenn nicht, wird das passieren was leider zu oft passiert, nämlich dass ein teuer ausgebildeter Arbeitnehmer seine Fähigkeiten nicht mehr zum Wohle der Gesellschaft einsetzen wird.

 

LG

 

C