Konsum, der dich die Freiheit kostet: Warum der Krempel gehen muss.

Wusstest du, dass heute jeder von uns im Durchschnitt 10.000 Gegenstände besitzt? Das ist hundertmal so viel wie noch zu Zeiten deines Urgroßvaters. Da stellt sich doch die Frage, ob du denn jetzt auch ein hundertmal glücklicheres Leben führst. Und hast du überhaupt einen Überblick darüber, was du alles besitzt?

Die meisten Menschen handeln in der Annahme, dass der Kauf von Dingen Probleme löst, das Leben verbessert und Lebensglück und Zufriedenheit bringt. Darum kaufen wir das siebenundzwanzigste Paar Schuhe, die siebzehnte Hose und dazu gleich einen größeren Kleiderschrank, um das alles unterbringen zu können. Das neue elektronische Gadget, das eine Kleinigkeit mehr kann als das Vorgängermodell, Alufelgen fürs Auto, Massagesessel, Mikrofaser-Waschlappen, und das vierzigteilige Messerset, weil man das doch schließlich immer gebrauchen kann. Darum ist der IKEA-Einkaufswagen an der Kasse immer voll, auch wenn wir das, weshalb wir hingefahren sind, gar nicht gefunden haben. Und gib es zu: Du gönnst dir bestimmt auch gerne mal etwas Neues.

Wenn die Theorie stimmt, müsste ich permanent nur in strahlende Gesichter blicken, da wir zu keinem Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte so viel gekauft und konsumiert haben wie heute. Tue ich aber nicht, und Schuld daran ist ein kleiner Teufel, der auf den Namen hedonistische Adaption hört. Dieser wissenschaftlich belegte Effekt sorgt dafür, dass uns eine glitzernde Neuanschaffung zwar für eine Weile einen Glücks-Kick verschafft, sich unsere Zufriedenheit aber kurz darauf wieder auf dem Ursprungs-Level einpendelt. Probier es mal bei dir selbst aus und denke daran, was du dir im letzten Jahr so gekauft hast. Fühlte sich dein Leben davor ernsthaft schlechter an, als du diese Dinge noch nicht hattest? Hast du sie überhaupt benutzt?

Krempel zu kaufen macht uns nicht glücklich. Aber die Wahrheit ist noch deutlich schlimmer: Jedesmal wenn du etwas kaufst, ist dein Geld aus dem Fenster und du kannst es nicht mehr für deine finanzielle Freiheit einsetzen. Noch einmal langsam: Du kaufst Sachen, die dein Leben nicht verbessern und bezahlst mit deiner Freiheit! Genauso gut könntest du dir selber in die Fresse boxen!

Aber es kommt noch schlimmer. Der viele Krempel kostet dich nicht nur einmal, wenn du ihn kaufst. Schließlich musst du alle Sachen auch noch in deiner Wohnung unterbringen, mit ihnen umziehen, sie abstauben, dich um sie kümmern. Das ist eine Last. Die vielen Sachen, von denen du viele höchstwahrscheinlich nie oder weniger als einmal im Jahr benutzt, klauen dir deine Zeit und deinen Platz und du bezahlst dafür auch noch Miete und Heizkosten, damit der ganze Kram es auch schön warm hat.

Es gibt zum Glück eine Lösung für dein Problem: Als erstes hörst du auf, dir Sachen zu kaufen. Wenn du das Gefühl hast etwas haben zu wollen, schreibe es auf einen Zettel und lege diesen für 30 Tage weg. In 90% der Fälle wirst du feststellen, dass dein Leben auch ohne diese Anschaffung vollkommen in Ordnung ist oder du mittlerweile irgendeine andere Lösung für das zugrunde liegende Problem gefunden hast. Wenn dein Wunsch immer noch bestehen sollte, überlege dir: Ist diese Anschaffung notwendig, um dein Leben langfristig und dauerhaft zu verbessern? Ist es die Nachteile wert, die die Anschaffung von Krempel mit sich bringt?

Als zweiten Schritt verkaufst und verschenkst du die Sachen, die du nicht brauchst. Aber wie entscheidest du, was du behalten willst? Schau dir dafür jedes deiner Besitztümer an und stell dir vor, du würdest es gar nicht besitzen. Würdest du es dann jetzt (nach der Regel aus dem ersten Schritt) anschaffen? Wenn die Antwort nein ist, dann verkaufe oder verschenke den Gegenstand. Wenn du dabei denkst „Das könnte ich ja vielleicht noch gebrauchen“, verkaufe es, denn in 90% der Fälle wirst du es gerade nicht noch einmal brauchen. Und falls dieser seltene Fall doch eintreten sollte: Wir leben immer noch in der Überflussgesellschaft, du kannst es dir dann also einfach wieder besorgen.

Sachen die ich mit nach England genommen habe

Ich habe mich auf diese Art und Weise allein im letzten Jahr von mehreren hundert Dingen getrennt. Als ich vor einem halben Jahr nach England ausgewandert bin, habe ich außer zwei Reisetaschen voll alle meine verbliebenen Sachen in Deutschland gelassen. Und was musste ich feststellen: Ich habe bisher nichts davon auch nur für eine Sekunde vermisst.

Achja, es gibt natürlich noch eine Sache: Unser ungebremster Krempel-Kaufrausch macht uns nicht nur die Taschen leer und belastet unser Leben ohne uns mehr Zufriedenheit zu bringen, sondern trägt auch noch ordentlich dazu bei, unseren schönen Planeten in eine Müllhalde zu verwandeln. Schaut euch mal The Story of Stuff an, das hat mir ziemlich die Augen geöffnet:

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Wenn euer Englisch schon ein bisschen eingerostet ist, gibt es hier auch eine (mittelmäßige) deutsche Synchronisation.

 

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12 Gedanken zu „Konsum, der dich die Freiheit kostet: Warum der Krempel gehen muss.“

  1. Ich weiß gar nicht so recht, was ich zu dem Video sagen soll. Einerseits ahnt man als Konsument bei den Preisen, dass da was verkehrt läuft, andererseits fühlt man sich auch ohnmächtig und weiß nicht, was man dagegen tun soll. Ich versuche zumindest ein wenig der Wegwerfgesellschaft entgegenzutreten. Beim Einkauf nutze ich keine Plastiktüten (auch nicht beim Gemüse), sondern habe immer Tragetaschen dabei. Ich schmeiße keine funktionierenden Gegenstände weg, sondern verschenke die Sachen lieber. Ein bisschen bewusster versuchen zu leben ist zwar ein Anfang, aber von heute auf morgen krempelt nicht die ganze Menschheit ihr Leben um. Eigentlich müssten wir alle wieder wie die Ureinwohner leben, um wieder eins mit der Natur zu sein.

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  2. Hallo Olli, bei folgendem Part habe ich herzlich gelacht: Du kaufst Sachen, die dein Leben nicht verbessern und bezahlst mit deiner Freiheit! Genauso gut könntest du dir selber in die Fresse boxen!

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  3. Ich gebe dir 100% Recht, fühle mich aber auch wie Ex-Studentin etwas ohnmächtig – wir müssen alle deutlich mehr tun damit unsere Bemühungen überhaupt eine Wirkung zeigen. Allerdings hilft jeder kleiner Schritt in die richtige Richtung. Von einem Tag zum anderen kann man sein Leben nicht völlig umstellen. Geht bei mir zumindest so – erstmal nach und nach Sachen aussortieren, dann schrittweise das Konsumverhalten ändern damit es weniger schädlich ist. Das ist ein langer Prozess, aber ein spannender!

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    • Hallo Mrs W,
      auch bei mir hat es einige Zeit gedauert. Theoretisch könnte man es sich natürlich einfach machen und einfach von heute auf morgen alles in den Müll werfen. Aber ich finde es unvertretbar, Dinge wegzuwerfen, die für andere Menschen vielleicht noch einen Wert haben. Ich habe rund zwei Jahre gebraucht, um meine Besitztümer soweit zu reduzieren, dass ich fast nur noch die Sachen hatte, die ich regelmäßig und gerne benutze und die mir wichtig sind. Das war wirklich ein spannender Prozess. Wenn man jeden Gegenstand einzeln in die Hand nimmt und sich von ihm verabschiedet, lernt man loszulassen und man begreift, wie gut man ohne diese Dinge klar kommt.

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      • Ist echt so – vieles konnte ich sehr leicht weggeben / verkaufen, die Entscheidung ist mir überhaupt nicht schwer gefallen. Dann geht man in die Stufe 2 – sich die übriggebliebene Sachen genauer anzuschauen und zu überlegen, was damit passieren soll. Bei manchen Sachen hat diese Entscheidung ein paar Monate gedauert. z. B. ich habe alles an Küchenutensilien, die ich für überflüssig gehalten habe, in einer Kiste gepackt und ins Schrank gestellt. Wenn ich dann doch was davon gebraucht habe, habe ich es wieder aus der Kiste rausgenommen und in die Küche gestellt. Alles was nach 6 Monaten immer noch in der Kiste war wurde verschenkt. (Die Kiste war am Ende auch noch recht voll, nur 1-2 Gegenstände wurden noch gebraucht – z.B. Mr W meinte empört, dass er die Schwimmbrille unbedingt beim Zwiebelschneiden tragen musste, sonst sei er nur noch am weinen und das Abendessen werde nie fertig).

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        • So ähnlich ging es mir auch 🙂 Mit der Zeit gingen dann Schritt für Schritt aber auch die Dinge, bei denen ich mir zu Anfang nicht sicher war. Über die Schwimmbrille musste ich ja herzlich lachen 😀 Ist aber eigentlich ein guter Tipp, ich muss beim Zwiebeln schneiden auch immer weinen. Die Zwiebeln nach dem Schälen kurz unter kaltem Wasser abzuspülen und beim Schneiden durch den Mund zu atmen hilft aber oft auch schon ein gutes Stück. 🙂

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  4. Hallo Oliver,

    ich finden Deinen Blog wirklich gut geschrieben und an vielen Stellen regt er nicht nur zum Nachdenken an, sondern liefert auch sehr zielgenau praktische Tipps.

    Ich überdenke derzeit auch intensiv meinen Konsum und spare schon lange – ich ein Jahrzehnt älter – große Teile meines Einkommens, aber deutlich weniger als Du.

    Was mir aufgefalllen ist: Einen Punkt erwähnst Du nicht, obwohl er offensichtlich ist. Wenn Du 60 Prozent Deines Sparanteils in Aktien steckst, selbst aber praktisch nicht konsumierst, dann funktioniert das nur für Dich und ein paar andere wenige. Also streng marktwirtschaftlich gesehen, solltest Du niemandem davon erzählen, weil möglichst viele andere Menschen eben keine Frugalisten sein dürfen, denn sonst funktioniert Deine Anlagestrategie nicht. Ohne Konsum, Investitionen und permanente kapitalistische Expansionswirtschaft werden Deine Aktien nicht mehr wert werden. Oder?

    Schöne Grüße!
    TaiPan

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    • Hi TaiPan,

      vielen Dank für dein Lob!

      Ich würde viel lieber in einer weniger konsum- und wachstumsorientierten Welt leben, in der es eine intakte Umwelt gibt, in der Menschen nachhaltig und zufrieden leben können und nicht ausgebeutet werden. In der mehr Fahrrad gefahren, repariert und gegärtnert und weniger geshoppt und in öden Jobs gearbeitet wird.

      Nur wird das aber leider so schnell nicht passieren. Denn selbst wenn ich ALLE Menschen auf dieser Welt, die Deutsch verstehen (und damit meine Artikel lesen können) von einem frugalistischen Lebensstil begeistern kann, dann wären das auch nur gerade mal 2 % der Weltbevölkerung (und ca. 4 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts). Dann hätte ich bereits 150 Millionen Leser – mehr als 10 Mal so viel wie Bild.de und Spiegel Online zusammen.

      Dass die globalen Aktienmärkte also auch nur ein klitzekleines Quäntchen davon beeinflusst werden könnten, dass ich hier blogge, ist damit quasi völlig ausgeschlossen.
      Aber darum geht es mir ja auch gar nicht. Mir geht es darum möglichst viele Gleichgesinnte zu finden, mit denen ich mich austauschen kann. Zumindest meine Umgebung, auf die ich Einfluss habe, so zu gestalten wie ich mir meine ideale Welt vorstelle. Und dabei so gut es geht das vorhandene System für mich zu nutzen, also in den Aktienmarkt zu investieren.

      Aus rein marktwirtschaftlicher Sicht mag das nicht rational sein, aber das Leben besteht ja nicht nur aus Marktwirtschaft. Gleichgesinnte zu finden, eine Community zu bilden und Leute zu inspirieren ist mir deutlich wichtiger, als 0,0000001 % mehr Rendite, weil ich ein paar Leute nicht vom Kaufen abgehalten habe. 😉

      Dein Einwand ist übrigens keinesfalls neu (es gab auch hier schon mehrfach Kommentare in diese Richtung). Ich verlinke dabei zur weiteren Lektüre ganz gerne auf diesen Artikel von Mr. Money Mustache (englisch):

      http://www.mrmoneymustache.com/2012/04/09/what-if-everyone-became-frugal/

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  5. Hi Oliver,

    seit ein paar Tagen lese ich deinen Blog und finde diesen sehr inspirierend und soweit ich bis jetzt gelesen habe, teile ich alle deine Ansichten.
    Auch dieser Artikel beinhaltet die volle Wahrheit und das Video fasst die Problematik auf unserem Planeten sehr gut zusammen.
    Ich bin nun auch kurz davor mein Geld in ETF anzulegen.
    Dabei stellt sich mir aber noch eine moralische Frage: Wenn man in die Standart Etfs Msci World und EM investiert, dann investiert man damit doch genau in diese Unternehmen, die unsere Erde jeden Tag ein kleines Stück mehr dem Ende entgegen bringen. Man verdient also am Erfolg dieser Unternehmen und somit auf Kosten unseres Planeten. Wie stehst du dazu?
    Man könnte vielleicht argumentieren: Das Unternehmen wird ohne mein Investment nicht mehr oder weniger Gewinn erwirtschaften. Wenigstens kann ich mit diesem Geld dann mit einer nachhaltigen Lebensweise zu einem grüneren Planeten beitragen.
    Mich würden deine Gedanken dazu interessieren.

    Gruß,
    MB

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  6. Sehr gut und im Ansatz ja spätestens seit Karen Kingston oder Anne Donath ja auch bekannt. (ich empfehle SEHR ihr herzerfrischend geschriebenes Buch „Wer wandert, braucht nur, was er tragen kann”.

    Nun lebt man ja aber meistens nicht im luftleeren Raum. Wie macht man das Verwandten und Freunden klar, besonders vor Ostern, Weihnachten oder vor dem eigenen Geburtstag, ohne als total verschrobener Sonderling zu gelten? In meinen jüngeren Jahren, allein und frei, war mir das egal. Mit ner eigenen Familie ist das nicht mehr so einfach.

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  7. Einfacher gesagt als umgesetzt. Ich z.B. kaufe nur Sachen, die mein Leben verbessern, verschönern, mich erfreuen. Und wenn ich nicht nur das eine Paar Schuhe tragen möchte, dann sammelt sich was an. Es ist nichts doppelt für den gleichen Zweck und trotzdem ist die Bude voll. Manche Sachen nutzt man nur selten, aber halt doch und freut sich, wenn sie griffbereit sind. Es ist also recht schwer, den „Krempel“ loszuwerden, wenn es gar kein überflüssiges Zeug ist. Manches ist auch mit emotionalen Erinnerungen verbunden oder ist einfach nur schön anzusehen ohne funktionalen Nutzen…

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