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Nicht-Fragulist mit hoher Sparrate hat ein paar Fragen an Euch

Lieber Oliver,
geschätzte Community,

vor ein paar Tagen war ich auf der Suche nach einem Haushaltsbuch auf GoogleDocs und bin so auf Deine Seite und Eure Community gestossen. Da mir das Frugalisten-Konzept sehr schnell sehr sympathisch war, habe ich bereits einige Blog-Einträge durchgelesen. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön, es ist alles wunderbar verständlich erläutert und konnte auch einiges lernen, etwa betreffend Entnahmestrategien.
So habe ich schliesslich einige parallel zu meiner Welt entdeckt: Konsumkritischer Ansatz, rationalisierendes Weltbild (ob es rational ist, sei mal dahingestellt) und -- die folgenden Punkte kamen selbst für mich irgendwie überraschend bei vorheriger Aufzählung: Hohe Sparraten jenseits der 60% in Kombination mit einem ETF-Portfolio.

Jedoch bin ich weit davon entfernt, ein Frugalist zu sein. So würde ich mich freuen, wie Ihr folgende meiner Impulse aufnehmen würdet und darauf reagiert. Dazu gehe ich auch ein wenig auf meinen Spar-Hintergrund ein.

  1. Mehr durch Zufall als durch Kalkül bin ich selbst während der letzten Finanzkrise nach meiner Studienabschlussarbeit, welche ich bei einem Schweizer Unternehmen verfasst habe, auch in der Schweiz zum Arbeiten hängen geblieben. Sie haben mir ein gutes Angebot gemacht und es bleibt dank tiefer Steuern per se recht viel Netto vom Brutto übrig.
    In Deutschland war ich ein Pfennig-Cent-Fuchser, dann wurde ich eben zum Rappenspalter und übte mit zu anfangs im Schweizer Nationalsport: Sich in Deutschland den Kofferraum vollkaufen und sich im Anschluss die Deutsche Mehrwertsteuer zurückerstatten lassen. Aber Einkaufen wurde mir auch prinzipiell zu mühsam, vor allem wenn man auch noch über die Grenze fahren muss und sich dann in grenznahem Gebiet an einem Samstag abartige Schlangen bilden.
    Der im zeitlichen Verlauf sehr günstig gelegene EUR/CHF Wechselkurs erlaubte es mir, sukzessive mein EUR-dominiertes ETF-Portfolio aufzubauen.
    Ihr vermutet es schon: Da ich vom Wesen her recht Change-avers bin, bin ich auch heute bei weitem nicht so mutig wie ihr als Fragulisten. Habe mir zwar ebenso einen möglichst schlichten Lebensstil beibehalten, der jedoch "von aussen" sich nicht sonderlich von den konsumfreudigeren Otto-Normalbürgern unterscheidet.
    Und jetzt kommt mein Punkt: Unter diesen "faulen" Voraussetzungen erreiche ich dennoch hohe Sparraten in der Schweiz. Hier dürften dann (unluxuriöses Leben vorausgesetzt), in absolute Zahlen ausgedrückt die Sparmöglichkeiten um den Faktor 2-5 höher liegen als in Deutschland. Wenn ich Eure Anstrengungen sehe, würde ich fast annehmen, dass extreme Sparraten durch Euren eisernen Reduktionswillen im Range 80-90% durch Euch in der Schweiz möglich sind.
    Ihr Frugalisten seid für mich sehr mutig, geht ein bewusst schmales Leben ein, lässt keinen Stein auf den anderen: Wäre es dann nicht etwas leichter, in ein anderes Land zu gehen und beispielsweise (einfach formuliert) 2-5 mal so schnell an Euer Ziel zu kommen? Vorausgesetzt man betreibt die in einem anderen Thread besprochene Geo-Arbitrage und geht wieder in ein Euro-Land zurück (sollte sich trotz vorhandener Risiken das Rentenniveau und Währungsverhältnis nicht massiv verschieben, kommt man mit dem Schweizer Rentensystem gut aus).
    Das wäre für mich Effektivität, gemäss dem Mantra tue die richtigen  "vorteilhaften" Dinge. Frugalismus ist für mich, überspitzt formuliert, eine sehr durch Effizienz getriebene Idee, um die Dinge "vorteilhaft" zu machen: Habe eine gegebene, absolute Grösse (kumulierte Netto-Einkünfte) und versuche von dieser Grösse aus eine vernünftig-hohe Sparrate zu definieren.
    Habt ihr Euch schon überlegt, die beiden Ansätze, Effektivität und Effizienz, zu kombinieren?
    Das könnte auch heissen: Kaufe repräsentable, gleichwohl günstige Autos/Outfits/Füller/Uhren (a.k.a. "Eintrittskarten"), um beruflich in leitende Funktionen begeben zu können, um mehr zu verdienen -> So bekommt man vielleicht auch wieder weiterhin einen Faktor 2 raus, natürlich den Willen vorausgesetzt, ins Management zu gehen. Und sich, bei aller Rebellion im Anzug (und im Wissen, dass man die Porsches und RangeRovers der Chefs doch etwas lächerlich findet) sich auch ein wenig zu verdingen.
    Der letzte Punkt deutet schon darauf hin: Es ist mit Anstrengungen verbunden, egal wie man es dreht:
    -> In anderen Ländern findet man womöglich nicht den sozialen Anschluss in die Gesellschaft (ist mir so in der Schweiz wiederfahren, deswegen werde ich wieder zum Cent-Fuchser und gehe wohl 2019 wieder nach Deutschland)
    -> Im Management hat man sehr viel weniger Zeit mehr für sich oder seine Umgebung
    -> Fragulismus bedeutet ebenso gewissen Einschränkungen hinzunehmen (sorry, meine Perspektive), mindestens ein grosser Lebenswandel was ebenso Aufwand für mich wäre
    Gemäss Adorno gibt es ja kein richtiges Leben im Falschen: Ist es gleichwohl praktikabel, bewusst ein falsches Leben (zumindest auf Zeit) eingehen um sein Ziele (schneller) zu erreichen? Wer hat von Euch also mit ähnlichen Gedanken gespielt oder praktiziert folgendes Mantra? Zähne zusammenbeissen, schnell zum Ziel und dann ist das selbst gestaltete Leben als Kontrast früher in Reichweite?
  2. Stichwort ETF-Portfolio: Ich bin mir sicher, dass etliche von Euch, ebenso wie ich, ein tip top ausbalanciertes Portfolio mit guter Diversifikation habt.
    Nun bin ich der Meinung, dass ich (womöglich auch unweigerlich, wenn man gut diversifiziert) Sweat Shops in der ersten bis dritten Welt direkt oder indirekt finanziell unterstütze. Noch schlimmer: Einen per se ausbeuterischen Shareholder-Value-Ansatz, möglichst viel Rendite zu erlangen, koste es, was es wolle.
    Wie geht ihr mit diesem Dilemma um? Man unterstütz finanziell ein System mit mehreren Zehntausend-Euro, welches eben genau nicht den Ansätzen Achtsamkeit, Genügsamkeit und Beharrlichkeit entspricht, sondern sich voll der Rendite verspricht.
    Seitdem ich selbst für einen grossen amerikanischen Konzern gearbeitet habe, weiss ich: Diese Konzerne sind getrieben durch Quartalszahlen. All das "Verbessere-die-Welt-mit-uns"-Geplapper ist für Marketing im weiteren Sinne gedacht, wie etwa Mitarbeiter-Attraction. Bekenntnisse zu Sustainability und Stakeholder-Value sind bei grosskapitalisierten Aktiengesellschaft aus meiner Sicht nur dazu dar, um sich zumindest nicht schlechter als die Konkurrenz zu platzieren und damit kein falschen Signale die Shareholder zu senden (ein Teil des allgemeinen Risiko-Managements).
    Wie löst ihr dieses Thema für Euch auf?
  3. Wie geht ihr damit um, wenn eine kritische Masse der Menschen in erste Welt Ländern Fragulisten wäre, dass dann das ETF-Haus wohl stark ins Wanken bringen würde? Kein/Kaum Konsum würde nicht nur Stagnation der Wirtschaft auf einer Null-Linie bedeuten sondern auch den Zusammenbruch des aufgeblasenen Wirtschafts- und Warentausch-Systems. Wen man all den Krempel nicht mehr benötigt, wofür brauche ich dann noch jemanden, der das produziert und verschleudert?
    Und zum Schluss ein wenig Polemik: Gibt es womöglich Fragulisten (natürlich jenseits dieser Community) welche den Konsum gar durch eigen geschaffene Kanäle predigen (lassen), um maximalen "Return" für sich zu erhalten?

Bin gespannt auf Euer Feedback auf meine, zum Teil durchaus kontroversen, Eingebungen. Bevor es zu reflexartigem Streitwillen kommt: Es sei an der Stelle nochmal explizit hervorgehoben, dass ich schwer mit Euch sympathisiere! 🙂

Alles Gute und viele Grüsse aus der Schweiz
Rappenspalter

Hallo Rappenspalter,

interessanter Beitrag, zeigt relativ zielsicher einige problematische Punkte auf.

zu 1. Für mich persönlich ist das mit dem Zähne zusammenbeißen, um es eines fernen Tages mal besser zu haben, nicht das ideale Konzept. Wir haben zwei kleine Kinder, würden meine Frau und ich das Ziel verfolgen, in vielleicht zehn Jahren gar nicht mehr arbeiten zu müssen, müsste die Zeit, die Eltern mit den Kindern verbringen können, deutlich reduziert werden. In zehn Jahren wären die Kinder 12 und 15 - die Kindheitsphase wäre dann in weiten Teilen vorbei, und kann auch nicht mehr nachgeholt werden.

Natürlich gibt es auch Beispiele von Eltern, die beide voll arbeiten, und es auch schaffen, sich viel den Kindern zu widmen - dann ist aber nicht mehr viel Zeit für anderes - also Hamsterrad in Reinform. Nichts für mich. Auch nicht, um später besser dazustehen, und dann viel mehr Möglichkeiten zu haben.

Die Freiräume, die wir durch etwas eingeschränkten Konsum (und ein bisschen Gewinn aus einer Vermietung) haben, werden eher dafür genutzt, schon jetzt weniger im Hamsterrad zu stecken. Abhängig beschäftigt ist im Moment nur meine Frau, auf einer halben Stelle. Es kommt noch etwas freiberuflich dazu, zeitlicher Umfang stark schwankend, über's Jahr nicht mehr als 1/8 Stelle. Bald wird es eine 80% Stelle und das freiberufliche dazu sein - aber dabei bleibt dann schon was übrig, das für spätere finanzielle Unabhängigkeit investiert werden kann.

Praktisch wirkt sich das so aus, dass wir (rel. günstig, aber fällt insgesamt wohl nicht unter frugal) auf dem Land leben können, ohne weiten Weg zur Arbeit, ohne teuren Ganztageskindergarten, und in Grenzen auch etwas Zeit, irgendwas anderes zu machen (sich im Garten ausleben, bisschen Musik machen, kleine Basteleien, auch mal gar nichts machen) - nur eingeschränkt dadurch, dass Kinder ungefähr 90 Stunden in der Woche wach sind, und auch in der Nacht nicht wirklich alleine gelassen werden können. Im Gegensatz zu anderen, die mehr Beruf unter einen Hut mit der Familie bringen müssen, haben wir auch nicht den ganz großen Streß, wenn einer mal krank ist, sei es ein Kind, das dann nicht in den Kindergarten gehen kann, aber auch nicht alleine zu Hause gelassen werden kann, und auch wenn ein Elternteil krank ist, ist etwas mehr Luft für Erholung, als bei voll arbeiteten Menschen mit Familie.

zu 2. und 3. Durch den FIRE-Ansatz scheint mir kein Umsturz des gegebenen Systems angestrebt zu werden, und der Horizont auch vornehmlich der des eigenen guten Lebens zu sein. Das Prinzip des Eigennutzes - auf dem ja in in der Marktwirtschaft irgendwie alles aufbaut - wird nur  konsequent auch von Seiten von Konsumenten genutzt. Es wird hinterfragt, welchen Nutzen das allgemein praktizierte Lebensmodell hat - und für sich selbst festgestellt, dass mit einer anderen Allokation des zur Verfügung stehenden Inputs (wäre hier wohl Arbeitszeit und Geld) insgesamt ein größerer Nutzen zu erreichen wäre, und entsprechend Konsequenzen gezogen. Das Ziel ist bei vielen eigentlich ein Seitenwechsel - von der Arbeit zum Kapital.

Ein gewisser Widerspruch kann natürlich schon ausgemacht werden. Wenn man sich verweigern will, impliziert das ja, dass man das Ding mit Konsum insgesamt kritisch sieht, und die Bewertung der Rolle, die man selbst als Vertreter des Produktionsfaktors Arbeit einnimmt, für einen selbst so schlecht ausfällt, dass man da eigentlich nicht mitmachen will - aber noch muss, solange man keine finanzielle Freiheit erlangt hat. Wenn man aber davon ausgeht, dass die Verfolgung des Eigennutzes und der Regelung durch den Markt das legitime geltende Prinzip ist, ist das aber kein großes moralisches Problem. Man definiert seine Präferenzen, profitiert gegebenenfalls von anderen Präferenzen anderer Akteure (die sich vielleicht ganz wohl damit fühlen, für Doppelhaushälfte, BMW X5, zwei Wochen Cluburlaub, eine Woche Skiurlaub und andere nette Dinge, die man für Geld kaufen kann,  bis 67 zu arbeiten, und dann ggf. auch etwas kürzer treten). Wenn sich die allgemeinen Präferenzen stark in Richtung Konsumverzicht und Investition verschieben würden, hätte das natürlich entsprechende Auswirkungen auf den Markt - wenn das global und auf einen Schlag passieren würde, würde wahrscheinlich ziemlich schnell alles in sich zusammenbrechen, und die meisten würden ziemlich dumm aus der Wäsche kucken, weil auf einen Schlag sehr viel mehr Geld da wäre, das Gewinne abwerfen soll, bei gleichzeitig sehr viel weniger Geld, das für Konsum ausgegeben wird. Wenn das eher schleichend passieren würde, würde sich durch laufende Anpassung der Preise langfristig wohl ein anderes Gleichgewicht einstellen, als aktuell. Das wirtschaftliche Umfeld wäre dann wohl ziemlich anders - es würden wahrscheinlich weniger und andere Produkte produziert und diese auch anders vermarktet, wahrscheinlich würde sich auch die Lage für Arbeitnehmer anders darstellen, als aktuell - und wer weiß: Vielleicht würde der ein oder andere, der heute auf einer FIRE-Strategie unterwegs ist, seine Lage anders bewerten, und in einem Leben als Arbeitnehmer bis zur Rente das bessere Paket - vielleicht auch als das einzig mögliche - sehen.

 

Hallo Rappenspalter,

1. Habt ihr Euch schon überlegt, die beiden Ansätze, Effektivität und Effizienz, zu kombinieren?...Wer hat von Euch also mit ähnlichen Gedanken gespielt oder praktiziert folgendes Mantra? Zähne zusammenbeissen, schnell zum Ziel und dann ist das selbst gestaltete Leben als Kontrast früher in Reichweite?

ich erlaube mir, Deine Punkte einmal zusammenzufassen. Frugalismus oder Minimalismus geschieht aus meiner Sicht auf der Ausgabenseite, nicht auf der Einnahmenseite. Ich arbeite auf der "dunklen Seite der Macht", so dass hier von Minimalismus nicht die Rede sein kann. Ich habe das allerdings nicht gezielt angestrebt, sondern habe zwei Dinge getan: Zum einen habe ich immer Jobs angenommen, die andere nicht machen wollten und habe versucht aus Scheisse Gold zu machen. Das ist nicht so schwierig wie man glaubt, dann man kann dabei eigentlich nur gewinnen. Zum anderen habe ich den richtigen Moment abgepasst, und gewartet - immer wenn es soweit war, habe ich durchgezogen. Aber das ist ein Thema für die Frage, welche Strategie verfolge ich im Job; insgesamt habe ich den Eindruck dass hier so einige auf der Einnahmenseite durchaus gut aufgestellt sind.

2. Wie geht ihr mit diesem Dilemma um? Man unterstütz finanziell ein System mit mehreren Zehntausend-Euro, welches eben genau nicht den Ansätzen Achtsamkeit, Genügsamkeit und Beharrlichkeit entspricht, sondern sich voll der Rendite verspricht.

Im Kern trifft es die Frage, ob ich eine Ideologie fundamental oder pragmatisch lebe (Fundi/Realo in der Grünensprache). Ich habe mir das Modell der Stoiker zum Vorbild gemacht, welches pragmatisch ist: Die Dinge die ich nicht ändern kann, ändere ich nicht. Was ich selbst verändern kann, ändere ich. Sofern ich die Einnahmeseite boykottiere, ändere ich nichts in der Welt, oder jedenfalls so wenig, dass es nichts bringt. Anstatt auf die Einnahmen zu verzichten, weil sie nicht "ethisch" sind, mache ich sie mir doch lieber zu eigen, und setze das Geld in meinem Sinne ein. Es ist nun nicht so, dass ich das vorsätzlich tue, aber mir ist klar, dass in jedem ETF, in jeder Vermögensanlage eine Sauerei steckt, die zu Erträgen geführt hat (und eine noch größere, die dazu führt, dass die Erträge nicht bei mir landen).

Am Ende des Tages findet Minimalismus/Frugalismus bei mir auf der Ausgabenseite statt. Reduktion auf das Wesentliche und Konsumreduktion auf das Wesentliche. Das alles möglichst nicht zu Lasten der Lebensqualität, sondern in Kombination mit einer inneren, mentalen Haltung, die Glück nicht im Besitz sieht (Stoa).

 

3. Wie geht ihr damit um, wenn eine kritische Masse der Menschen in erste Welt Ländern Fragulisten wäre, dass dann das ETF-Haus wohl stark ins Wanken bringen würde?

Wenn es nur noch Frisöre gäbe, bräche die Weltwirtschaft zusammen. Frugalismus ist m.E. keine Ideologie, sondern eine Option. Daher ist die Frage "wenn es alle machen würden, was dann?" m.E. eher eine Killerfrage, die nicht eintreten wird. Die Menschen sind eben unterschiedlich...

4. Gibt es womöglich Fragulisten (natürlich jenseits dieser Community) welche den Konsum gar durch eigen geschaffene Kanäle predigen (lassen), um maximalen "Return" für sich zu erhalten?

Klingt ein bisschen wie die Frage nach dem reinen Kommunisten und dem unreinen, dem wahren Katholiken und dem Heuchler. Das gibt es definitiv, wahrscheinlich hier auch, und ist völlig normal. Alleine die Zockerei mit Optionen oder Hebelpapieren ist m.E. ein Beispiel dafür.

Aber wahrscheinlich bin ich auch kein reiner Frugalist 😉

Achte auf deine Gedanken! Sie sind der Anfang deiner Taten.
Zitat von rappenspalter am 19. Mai 2018, 8:56 Uhr

Wäre es dann nicht etwas leichter, in ein anderes Land zu gehen und beispielsweise (einfach formuliert) 2-5 mal so schnell an Euer Ziel zu kommen?

Habt ihr Euch schon überlegt, die beiden Ansätze, Effektivität und Effizienz, zu kombinieren?

Wie geht ihr mit diesem Dilemma um?

Wie geht ihr damit um, wenn eine kritische Masse der Menschen in erste Welt Ländern Fragulisten wäre, dass dann das ETF-Haus wohl stark ins Wanken bringen würde?

In die Schweiz zu gehen habe ich mir überlegt und finde ich sehr interessant. Bei meiner letzten Suche habe ich sehr viele offene Stellen gefunden. Das Land an sich ist auch sehr schön, allerdings zu weit weg von meiner Freundin. Mit ihr führe ich seit einiger Zeit eine Fernbeziehung, weil ich in ihrer Region nichts Anständiges zu arbeiten gefunden habe. In der Schweiz (vielleicht auch noch in einem kleinen Ort) würde ich mir wahrscheinlich auch zu fremd vorkommen. Ökonomisch betrachtet ist die Überlegung irrational, weil ich nur einige Stunden pro Fahrt/Flug länger bräuchte, aber deutlich mehr unterm Strich raus bekomme.

Die Überlegung mit "wären alle Frugalisten" geht zu weit und ist damit nichts, worüber man sich Gedanken machen sollte. Es gibt viele ähnlich und auch deutlich dramatischere Themen (Krankreit, 3. Weltkrieg, Umweltverschmutzung, Ausbruch einer Seuche, Zusammenbruch des Wirtschaftssystem), an denen man zerbrechen kann, wenn man die ganze Zeit darüber nachdenkt. Zudem hat man keinen Einfluss darauf. Frugalisten werden IMMER eine Randgruppe bleiben. wenn du Aktien, Immobilien oder sonstiges kaufst, verkauft es ein anderer. Dieser hat Geld um es anderweitig zu investieren oder zu konsumieren. Wenn alle investieren würden, wären die Preise so hoch, dass es sich nicht mehr lohnt. So ähnlich verhält es sich aktuell in der Niedrigzinsphase: Da Geld sparen auf dem Konto nicht mehr lohnt, wird es verkonsumiert.

Zum Thema "ausbeuterischer Shareholder-Value-Ansatz, koste es, was es wolle": Ich finde, dass ist zu kurz gedacht. So ein Modell scheitert langfristig im Markt. Zum Beispiel, weil die Kunden sich abwenden, die Mitarbeiter nicht engagiert sind bzw. das Unternehmen nicht attraktiv genug für "gute" Mitarbeiter ist oder der Gesetzgeber straffere Gesetze einführt. Welche Unternehmen fahren deiner Meinung nach einen ausbeuterischen Shareholder-Value-Ansatz? Mir fällt gerade kein einziges (historisch) langfristig erfolgreiches Unternehmen ein.

Zu "Wie geht ihr damit um, wenn eine kritische Masse der Menschen in erste Welt Ländern Fragulisten wäre, dass dann das ETF-Haus wohl stark ins Wanken bringen würde?"

ETFs sind ja nicht "ein Haus", sondern sehr sehr viele verschiedene. "Erste Welt-Länder" wird wohl durch MSCI World beschrieben, wenn da die Erträge zurückgehen, gibt es ja immer noch die Emerging Markets, und für Abenteurer sogar als "dritte Welt" die Frontier Markets...

Wobei ETFs ja auch nicht alles sind, viel interessanter finde ich Einzelaktien, z.B. Postaktien. Bekommen/versenden Frugalisten weniger Post?

Es gilt wie immer die ganz generische Strategie: (1) Entwicklungen beobachten; (2) auf Entwicklungen reagieren; (3) prüfen, ob die Reaktionen was gebracht haben...

Ich habe auch ein paar Einzelaktien, die monatlich bespart werden, unter anderem die Post. Der Trend geht ja immer mehr hin zu Online-Shopping und alle versuchen, den besten Anbieter zu finden. Mir kann es egal sein, denn die Post liefert, egal wo und was bestellt wird ;).

Spannend finde ich deine Erfahrung in der Schweiz, auch ich habe aufgrund eines sehr guten Stellenangebotes eine Zeit lang überlegt, mich haben aber die Schwierigkeiten, wirklich im Land ankommen zu können, davon abgehalten. Das Gefühl, nie richtig ankommen zu können, ist finde ich mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen.

Zur moralischen Frage: Ich persönlich lese sehr gerne Harald Welzer und Niko Paech und versuche in meinem Leben den Fußabdruck ökologisch gesehen klein zu halten, soweit es mir möglich ist. Trotzdem habe ich ETFs. Diese komplett fair zu finden, ist momentan noch nicht wirklich möglich. Ich habe allerdings gerade im Bereich EMG ETFs, die bestimmte Kategorien ausschließen (Waffen usw.).

Zur Frage der Frugalisten-Mehrheit in der ersten Welt: Ich halte es für unrealistisch, aber wünschenswert. Es würde ja eine ganz neue Gesellschaft entstehen müssen, die nicht von Wachstum getrieben ist und einfach ganz anders funktionieren würde. Eine spannende Idee, die aber in unserer konsumgetriebenen Gesellschaft meiner Ansicht nach nicht durchsetzbar ist.

Hallo Rappenspalter,

ja, die Gedanken habe ich mir auch schon gemacht (und so manche mehr) und würde diese so beantworten:

1.) Keinesfalls kann ich mir vorstellen, dass jemand mit einem gut bezahlten Job (und in der Tat, das ist die Grundvoraussetzung früher in "Rente" zu gehen) durch Sparmaßnahmen an Nahrung/Kultur/Kindererziehung... effektiver reich wird (denn sparen, das kostet jede Menge Zeit!) als sich auf seinen Job zu konzenztrieren und dort ggf. Gehaltserhöhungen "mitzunehmen". Bei Leuten mit schlechterem Gehalt oder INvestitionen (in Vorsorge/Hausbau o.ä. kann das natüröich anders aussehen). Lieber 2-5 Jahre länger arbeiten und dafür locker bleiben im Alltag!

2.) Ausbeutung Schwächerer und Umschichtung zu den Reichen? Ja, eindeutig ein Problem, dass sich individuell kaum lösen lässt. Faire Anlagen (als ETF oder auch Einzeltitel) könnte eine Lösung sein, Konsumtitel, z.T. auch Pharma in diesen Ländern halte ich für zumindest neutral (z.B. AB Inbev, Heineken braut Bier in den Ländern und verkauft auch dort ... es werden also dort Arbeitsplätze geschaffen). Eher übel finde ich Tabakaktien, Öl. Kurzum: Unter diesem Aspekt qualitativ diversifizieren.

3.) Allein das Argument "wenn das jeder machen würde" ist töricht, gleichwohl sie oft gestellt wird. Jedem Menschen dieser Welt kann die irgendwie "vorgeworfen" werden: "wennjeder so viel Spartgel essen würde wie du, würden die Felder nicht ausreichen". "Wenn jeder, so wie du immer die gleiche Automarke  kaufen würde gäbs nur noch diesen einen Hersteller" usw.  Antwort an den Gegenüber also: Jetzt warten wir mal ab bis das jeder macht, dann reden wir nochmal.

4.) Nein, an Verschwörungstheorien glaub ich nicht, zumal wir hier über absolute Minderheitenmeinungen reden bei den Frugalisten.

Übrtigend: Nein, ich bin keinesfalls Frugalist! Habe jedoch schon immer eine mittelhohe Sparquote mit (nahe) 100 % Aktienanlage und werde definitiv nicht bis 67, aber auch nicht nur bis 40 arbeiten (bin bereits drüber). Irgendwo dazwischen, z.B. mit Anfang/spätestens Mitte 50 ist das Ziel!

Vielen Dank für Eure bisherigen (und womöglich noch kommenden) spannenden Einblicke und interessanten Gedanken -- So habe ich an der ein oder anderen Stelle wieder meinen Horizont erweitern können 😉 ... Viele Grüsse, Rappenspalter