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Mit FY-Money um die Welt

Eigentlich wollte ich diesen Vorstellungs-Post sowas wie "Von Null auf FI in 3,5 Jahren" nennen, allerdings klang mir das dann doch zu sehr nach Clickbait a la Bodo Schäfer ("Die erste Million in 7 Jahren", etc.). Hinzu kommt, dass mein kleines Vermögen noch nicht einmal ausschließlich "self-made" ist, statt dessen spielen ein Erbe sowie eine recht glückliche Entwicklung am Aktienmarkt eine entscheidende Rolle. Hier mein Frugalisten-Werdegang:

Mitte der 2000er bis 2016: verschiedene Studiengänge ausprobiert, aber vor allem in den letzten Jahren dann auch wirklich durchgezogen. Ich war dabei niemals "faul", sondern habe immer irgendiwas sinnstiftendes getan, nur eben selten in Richtung Studium oder Lohnarbeit/Karriere. Die Miete im Studiwohnheim betrug anfangs 155€ warm und ich kam mit 400€ im Monat locker aus, zeitweise sogar mit eigener Karre, die ich bis TüV-Ende (und ein wenig darüber hinaus) fuhr und abgesehen von Spritkosten niemals Geld reingesteckt habe. (Dank eines unverschuldeten Blechschaden-Unfalls zahlte mir die Versicherung des Verursachers sogar mehr aus, als ich für den Autokauf ursprünglich ausgegeben hatte :).) Auf Dauer sehe ich aber ein, dass ein Auto in einer Großstadt wenig Sinn macht.

Ende der 2000er experimentiere ich mit verschiedenen Wohnformen, gehe oft Lebensmittel containern, etc. - nicht wirklich um Geld zu sparen, sondern weil es mir Freude bereitet und sinnvoll erscheint. Ich habe also weiterhin sehr geringe Fixkosten. Wenn ich Geld benötige jobbte ich ein wenig - im Nachhinein betrachtet eher körperliche Arbeiten und nichts was meinen Fähigkeiten entsprochen hätte, aber ich empfand es damals als in Ordnung, als "ehrlich verdientes" Geld. Mir war zwar bereits bewusst, dass ich mein "Humankapital" effizienter monitarisieren könnte, aber ich hatte (habe?) einfach keinen Bedarf darin gesehen "Karriere zu machen". Es gab in dieser Zeit andere Dinge die mir relevanter erschienen. Mein Girokonto ist allerdings selten vierstellig. Denoch habe ich niemals im Leben Schulden gehabt, soviel hatte mir das Elternhaus eingeprägt. Eigentlich war ich schon immer mit dem Wesentlichen zufrieden und habe das "lange Studium" ausgekostet, Geld lange Zeit über geradezu abgelehnt.

2017: Irgendwann ist auch die schöne Studienzeit leider vorbei und man hat doch seinen Abschluss. Vor vier Jahren trete ich also meinen ersten Vollzeitjob an, wobei ich viele Freiheiten habe und mir 90% der Arbeit Spass bereitet. Was ich tue, tue ich systematisch und erarbeite mir einen gewissen Ruf in der Branche. Parallel baue ich mit eine freiberufliche Nebentätigkeit auf. Aber wohin mit dem plötzlichen Geld? Konsumbedarf hatte ich noch immer keinen, zelebrierte weiter meinen "Studi-Livestyle", was meine Kollegen zwar etwas komisch fanden, aber in dem (sehr angenehmen) Berufsumfeld auch nicht weiter auffiel. Langfristig Anlegen wollte ich es - und tat dies die ersten Monate in Form von Einzelaktien und mit verhältnismäßig geringen Summen. Ich bemerkte, dass mich das auf und ab der Einzeltitel beschäftigte, ich viel zu oft in mein Depot schaute und am Ende so ziemlich dieselbe Performance wie der Markt hatte. Also warum nicht gleich ETFs? Deshalb den Kommer und andere gelesen, seither habe ich ein 70/30 MSCI World (Multi-Factor) / EM Portfolio, komme was wolle. Einen risikiofreien bzw. risikoarmen Anlageteil habe ich zur Zeit nicht, lediglich einen Notgroschen.

2018-2020: Bekanntschaft mit einem Kollegen, der mir beim Bier erzählt, sich auf die hochbezahlte Stelle nur zu bewerben um nach einigen Jahren "FIRE" zu sein und von den Kapitalerträgen zu leben. FIRE. Das klingt interessant. Er verweist mich auf auf Mr. Money Mustache, hierüber komme ich auf dieses deutschsprachige Forum und bin seither ein sporadischer stiller Mitleser. In dem Jahr intensiviere meine freiberufliche Tätigkeit, die nun annährend so viel Brutto-Gehalt wie der full-time Job generiert (bei 1-2 Tagen Arbeit die Woche). Ansonsten tut sich nicht viel, Beziehungen kommen und gehen, ich gehe nach wie vor eher wandern und campen als Hotelurlaub zu machen. Aus einem lokalen Ereignis in China wird eine Pandemie und damit auch ein Härtetest fürs Depot, den ich aber überaschend gut wegstecke. Anfang Februar 2020 musste ich wegen einer Steuernachzahlung eine Kleinigkeit verkaufen, ansonsten gehe ich nicht ans Depot. Ab Ende Februar bin ich im Home-Office, was meinen Job noch angenehmer macht. Mitte März 2020 erbe ich 180k und lege diese direkt "ins fallende Messer" an, auch das funktioniert überraschend emotionslos in Anbetracht der allgemein herrschenden Fear an den Märkten.

Dezember 2020: Durch Lohnarbeit und freiberufliche Tätigkeit, das Erbe, und ungewolltest Market Timing nahe am Corona-Tiefpunkt, der raschen Erhohlung sowie der generell positive Entwicklung an den Märkten in den letzten drei Jahren habe ich 450k angespart. [Einschub: Meine monatlichen Ausgaben liegen heute bei durchschnittlich 900€/Monat, trotz Reisen und oft wechselnder Unterkünfte. Ich denke zwar, dass ein paar Posten noch steigen werden (z.B. erhöhen sich die Beiträge für die private Auslandskrankenversicherung mit dem Alter enorm), gehe aber nicht mehr davon aus, dass ich meinen Livestyle so grundsätzlich ändern wird, dass ich großartig Gefallen an materiellen Dingen haben werde.] Nach der 4%-Regel könnte ich mir monatlich 1500€ aus Kapitalerträgen auszahlen. An das Depot gehe ich zwar nicht ran, aber ich beschließe, dass genug "Fuck You Money" als Polster vorhanden ist, um Neues zu entdecken. Ich kündige meinen Job, verkaufe all meinen Kleinscheiß bis auf einen Handgepäckrucksack und werde dauerhaft Reisender (vorerst innerhalb Europas, aufgrund der andauernden Pandemie).

Zukunft: Nun habe ich ein Jobangebot aus den USA erhalten, das mich ins grübeln bringt. Dieses könnte annehmen, oder mich alternativ selbst nochmals aktiv um Bewerbungen kümmern (ebenfalls bei US-Firmen), um das Ziel "mit 40 Jahren zur ersten Million" zu verfolgen. Dies wäre rechnerisch möglich (die Brutter-Gehälter liegen bei ca. $250.000, also für deutsche Verhältnisse sehr hohe Summen), allerdings wäre dies auch mit einem entsprechenden Commitment zur Arbeit verbunden. Gleichzeitig bin ich auf einem Höhepunkt meiner Fähigkeiten und es wäre irgendwie "verschwendetes Humankapital", es nicht zu versuchen. Tatsächlich habe ich auch festgestellt, dass mir "nur am Strand liegen" schnell langweilig wird, bzw. ich denke es wäre eine "Challenge" es nochmal zu wagen.

  • Szenario 1: Ich nehme die Challenge an und verkaufe mein Humankaptial zum bestmöglichen Preis - im Idealfall ohne dass es mich krank macht (Burn-out) oder die Livestyle-Inflation (etwa durch ein verändertes soziales Umfeld, US Housing Preise etc.) dauerhaft mehr kaputt macht als die Arbeit einbringt. Ziel wäre es, möglichst schnell die Million vollzumachen, und dann hoffentlich die "Kurve zu kriegen". Außerdem ist dieses Szenario gut fürs persönliche Ego ("Ich kann es jederzeit schaffen, bei Company-X zu arbeiten, wenn ich es will").
  • Szenario 2: Weiter wie bisher. If you have won, stop playing the game. Ich setze meine freiberufliche/selbstständige Tätigkeit auf niedrigem Nivea fort (1-2 Tage die Woche) und verdiene damit mindestens so viel, dass keine Entnahmen aus dem Depot getätigt werden müssen. Meine Einschätzung ist, dass selbst hier noch etwas für regelmäßige ETF-Einzahlungen übrig bleibt. Die selbstständige Tätigkeit ohne Druck bereitet mir am meisten Freude und fühlt sich nicht an wie ein "Job". Ich könnte quasi garnicht ohne sie, sonst wäre mir tatsächlich langweilig - irgendwas muss mensch ja tun. Mit diesem "Arbeiten auf Sparflamme, dass sich wie Freizeit anfühlt" habe ich maximalen Spass und verdiene wohl immernoch mehr als der Durchschnitt in Deutschland. Gleichzeitig habe ich viel Zeit, neues zu entdecken. Dieses "mit Fuck You Money auf Reisen" Szenario lebe ich momentan.
  • Szenario 3: Ich werden Unternehmer und skaliere die Selbstständigkeit auf ein professionelles full-time Nivea und lagere anfallende Arbeit aus (teils möglich). Die Übergänge zwischen Szenario 2 und 3 sind fließend, klar ist aber dass Szenario 3 anstrengend wird, mit einem Gewissen unternehmerischen Risiko und mehr Papierkram verbunden ist. Ich kann zudem nicht garantieren, dass ich auf das selbe finanzielle Niveau komme wie in Szenario 1.

An mein Depot würde ich in keinem Fall rangehen, bis dies auf den symbolischen Betrag von 1 Million angewachsen ist (=> mögliche Entnahme: 3000€/Monat bei starrer Anwendung der 4%-Regel). Der Wert ist nicht wirklich rational, da ich mit wesentlich weniger auskomme, allerdings fühlt es sich gut an, sowohl als Puffer und fürs Ego. Wenn ich jetzt Gas gebe (Szenario 1 oder 3) sollte das innerhalb weniger Jahre funktionieren. Das schöne Leben im hier und jetzt (Szenario 2) wäre jedoch auch kein Beinbruch, dann dauert es eben noch eine Dekade.

Wie ihr seht gehe ich momentan also einen gewissen Zwischenweg: Ich sehe mich bereits jetzt als mit genügend FY-Money ausgestattet, aber nicht wirklich als FI oder RE. Ich erwarte mir von diesem Forum keine Hilfestellung, das beste Szenario muss ich letztlich selbst für mich finden. Auf euer Feedback zur Entscheidung zwischen mehr Geld und mehr Leben bin ich natürlich dennoch gespannt :).

Hinweis: Ich bin Mitte/Ende 30. Meine Rente wird keinen relevanten Teil zur Altersvorsorge beitragen (ca. 350€/Monat). Ich werde keine eigenen Kinder haben, eine bewußt getroffene Lebensstil-Entscheidung. Meine Partnerin steht auf eigenen Beinen. Es existieren keine weitern Assets, außer mir (Humankapital), meinem Reiserucksack und dem Depot (Stand heute: 540k) + Notgroschen (10k).

Zitat von vagabund am 2. Juli 2021, 12:47 Uhr
  • Ich kann zudem nicht garantieren, dass ich auf das selbe finanzielle Niveau komme wie in Szenario 1.

Eigenen Firmenwert nicht vergessen. Wenn es für Deine Dienstleistung einen nachhaltigen Bedarf gibt, hat Deine Firma einen Wert. Hängt natürlich von den jeweiligen Randbedingungen ab, aber das ist im Normalfall nicht Null.

hm, also sieht erst einmal so aus, als wenn du gut klar kommst und glücklich bist - Glückwunsch! Somit ist das Wichtigste ja schon einmal gegeben : Du bist glücklich im Leben! Zumindest steht "Glücklich sein" auf meiner Liste ganz oben...

Deine Lebenshaltungskosten sind sehr gering und betrachtet man die Tatsache, dass du keine Immobilie besitzt, wirken sie auf mich geradezu spartanisch, aber wenn es so ist, umso besser.

Zu jedem Szenario daher für dich eine Frage:

Szenario 1:  Du bist aktuell glücklich, finanziell abgesichert, warum dann die von dir genannten Risiken (Burn Out &  Livestyle Inflation ) eingehen?

Szenario 2: Too good to be true - Warum hiervon abweichen?

Szenario 3: Warum möchtest du die Risiken einer Firmengründung eingehen , was steht dem gegenüber?

 

Ich denke meine Präferenz wird deutlich, ich bin gespannt auf deine Antworten. Magst du vielleicht etwas mehr zu deinem Haupt- und Nebenberuf erzählen ?

 

Viele Grüße

SIX

@mfz73: stimmt, allerdings wäre in meinem Fall (IT-Spezialbereich; Details möchte ich nicht nennen) der Firmenwert doch eher gering - wobei sich damit glücklicherweise auch die Kosten und die damit verbundenen Risiken einer Unternehmensgründung in Grenzen halten würden.

@six: Ich denke auch, glücklich sein ist im Leben doch eigentlich das wichtigste überhaupt. Das mag mit teils Geldvermögen korrelieren, aber sobald die Grundbedürfnisse gedeckt spielt Geld imho eine untergeordnete Rolle. Das spartanische 0815-Bier am See mit Freunden hat mir schon immer mehr Freude bereitet, als schick-Ausgehen-in-dieses-und-jenes-neue-hippe-Restaurant. Allerdings mag das für andere, genau umgekehrt sein. Glück ist eben individuell und hier gibt es nicht den richtigen oder falschen Weg. Zu deinen Fragen:

  • S1 - Ich denke bei mir sprechen A) zu 20% Challenge/Ego dafür das "USA-Ding" zu versuchen und B) zu 80% "irrationale Sorgen": Jetzt kann ich noch sehr einfach größere Mengen Geld generieren, in 10 Jahren sieht das anders aus. Mein "Humankapital" schrumpft schneller als ich "FIRE" sagen kann. Wer weiß, wie sich die Gesundheitskosten im Alter entwickeln. Und die Inflation. Und die Märkte. Und und und. Kurzum: Ein Puffer kann sicher nicht schaden. Ist wohl das übliche "reicht es wirklich?", was hier bei vielen im Forum - auch mit westentlich größerem Vermögen - mitschwingt.
    Kurze Bemerkung zu den Risiken: Hoffentlich würde ich vor einem Burn-out abspringen (the position of FY :)), dasselbe gilt wenn mir die Arbeit nicht halbwegs Spass macht / Befriedigung verschafft. Richtig ärgerlich wäre tatsächlich die zweite Gefahr: man schafft sich durch Job/Ortswechseln einen neuen Freundeskreis, adaptiert nach und nach das "normale" Ausgabenverhalten und aus ist der FIRE-Traum, der momentan eigentlich ein Selbstläufer ist, auch mit der finanziell gesehen eher lahmen Ente S2.
  • S2 - Because one can :), siehe letztlich B) aus S1.
  • S3 - Begründung ist hier eigentlich auch nur B) aus S1 - und die Arbeit wäre natürlich selbstbestimmter als in einem Angestelltenverhältnis. Es müsste nicht zwangsläufig eine Unternehmensgründung sein, ich könnte auch die Selbstständigkeit bei Bedarf auf 3,4,5,... Wochentage ausweiten - z.B. im Falle einer längeren Baisse - als Mittelding zwischen S2 und S3.

Herzlichen Glückwunsch!

So wie sich das anhört, bist Du auf einem tollen Weg:

Das Optimum von Erfüllung zu erreichen = Sinn und Lebensglück zu leben.

Das ist für jeden eine individuelle Reise.

Mir hat da für die Schärfung MM in Bezug auf Kosten sehr geholfen.

Drücke die Daumen, dass es weiter so gut läuft.

Liebe Grüé

André

Zum Jahresende gibts auch mal wieder ein Update von mir.

Die letzten 1,5 Jahre sind für mich insg. recht gut verlaufen und vergingen schneller, als ich "FIRE" sagen konnte. RE bin ich zwar noch nicht, aber mein Vertrauen darin, dass ich das langfristige Ziel (1 Million noch in dieser Dekade) erreiche, ist ungebrochen.

Szenario 2 (If you have won, stop playing the game)

Ich habe mich für Szenario 2 entschieden. Slow FI statt Hochleistung. Ich arbeite also weiter freiberuflich auf niedrigem Nivea - wobei es jetzt doch eher 2-3 Tage die Woche geworden sind, aber die Projekte sind erfüllend. Seit meinem letzten Update habe ich 7 verschiedene Länder bereist und - mal mehr, mal weniger - am Laptop für verschiedene Kunden an diversen Projekten gearbeitet. Ich bleibe dabei immer mehrere Monate in einem Land, tauche also etwas tiefer in die Kultur ein und spare nebenbei Reisekosten.

Net Worth und Inflation

Aufgrund niedriger Lebenshaltungskosten konnte ich weiterhin ein Vielfaches dessen investieren, was ich zum Leben benötige. Meine Net Worth ist mittlerweile auf knapp 600k EUR angewachsen, wie gehabt zu annähernd 100% in besagten Aktien-ETFs langfristig angelegt. Wobei "angewachsen" wohl der falsche Begriff ist, real (inflationsbereinigt) ist sie sogar etwas geschrumpft - und meine persönliche Inflationsrate von 16% (siehe Ausgabentabelle unten) liegt vermutlich über der Statistik in der Eurozone. Sprich: Ich habe trotz Sparens und Zukäufen weniger Kaufkraft als vor 1,5 Jahren. Langfristig sollte es dennoch passen.

Haushaltsbuch und jährliche Ausgaben

Um meine Ausgaben zu erfassen, habe ich zum 01.01.2021 begonnen, ein Haushaltsbuch zu führen und dies 2022 fortgeführt. Ich hatte zuletzt geschrieben, dass sich meine monatlichen Ausgaben auf durchschnittlich 900€/Monat belaufen. Dies ist nicht mehr ganz korrekt. Untenstehend meine Ausgabentabelle für 2021/2022:

Reisen Lebensmittel Unterkünfte Gesundheit IT/TK Sonstiges Insg. ⌀/Monat
2021 1481€ 1977€ 4412€ 1587€ 323€ 651€ 10431€ 869€
2022 1529€ 2781€ 5262€ 1362€ 357€ 784€ 12075€ 1006€

Gefühlt habe ich keine "Lifestyle-Inflation" durchgemacht, dennoch sind meine Ausgaben um ca. 16% gestiegen, allerdings mit gut 1000€/Monat nach wie vor auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Ich habe (fast) keine Fixkosten abseits der Posten "IT/TK" (Mobilfunk- und Serverkosten) und der (internationalen) Krankenversicherung. Reisen mache ich nur low cost mit Handgepäck und Billigfliegern oder per Bus - und ich bleibe wie gesagt relativ lange an einem Ort, zahle also keine "Touristenpreise". Dennoch sind Unterkünfte mein größter Posten, daran wird sich auch nichts ändern.

Fazit: Die 2% Regel?

12k p.a. von 600k entspricht 2% und damit einer mehr als sicheren Entnahmerate. Rein rechnerisch gesehen bin ich also FI, wobei die Berechnung mit meinen aktuellen Ausgaben eine Milchmädchenrechnung ist, denn ich gehe davon aus, dass meine Kosten zukünftig noch steigen werden. Damit meine ich nicht die allgemeine Inflationsrate (diese ist ja bereits in der viel zitierten 4% Regel enthalten), sondern altersbedingte Sondereffekte wie eine exponentiell teurere (private/internationale) Krankenversicherung oder dem möglichen Wunsch nach komfortableren Reisen oder bequemeren Betten. Georg von hat finanzen-erklaert.de hat dazu eine interessante Grafik der durchschnittlichen altersbedingten Lifestyle-Inflation veröffentlicht. Deshalb: Puffer aufbauen kann nicht Schaden (Ziel ist wie gesagt 1 Million), aber nicht mehr auf der Überholspur. Leben im Hier und Jetzt ist wichtiger. Vorerst arbeite ich also einfach weiter, aber eben nur Kram auf den ich Lust habe und mit weitgehend freier Zeiteinteilung. Da kann meiner Meinung nach finanziell nicht mehr viel anbrennen.

Zweifel?

Dennoch überlege ich manchmal, ob Szenario 2 die richtige Entscheidung war. Rein von den Zahlen her wären Szenario 1 oder Szenario 3 die bessere Wahl - ganz zu Schweigen von einer gewissen "Verschwendung von Humankapital" (siehe auch aktuelle Diskussion zum offenbar immer beliebteren Frührentnertum in DE). Volkswirtschaftlich gesehen wäre eine Ausbeutung meiner Fähigkeiten bis 67 ja durchaus sinnvoll. Und eine Challenge könnte auch für mich persönlich durchaus rewarding sein (jenseits finanzieller Aspekte). Egal. Ich muss den Karren nicht aus dem Dreck ziehen und Work-Life Balance ist wichtiger als ständige Selbstoptimierung. Wenn alle so denken, wird das natürlich nichts mit FIRE ;-).

danke, vagabund, für deine ausführungen. ich gratuliere dir zu deinem erfolg und deinen reisen vor allem. ich denke, du machst es genau richtig. besonders erfreulich an deinen postings ist, dass du als sehr zufriedener zeitgenosse rüberkommst. frei von frust und harm. du lässt auch den anderen was gelten. weiter so.

Entspannte Selbstreflektion, @vagabund

Weiter so flexibel bleiben 'in die Birne', dann kann da nicht allzuviel schief gehen.

Hi @vagabund du bist ein großes Vorbild für mich. Du hast ein schönes Leben und kannst viel erleben so soll es sein. Gratulation.

@jan-veerman: Naja, vielleicht habe ich das jetzt alles zu rosig dargestellt und bin zu wenig auf die negativen Aspekte des ständigen Auf-Achse-Seins eingegangen. Festgestellt habe ich seither z. B.:

  • Dass sich eine gewissen hedonistische Adaptation einstellt. Wenn du z. B. einen Strand oder tolle Berge direkt vor der Haustür hast, dann ist dies bereits nach wenigen Wochen nichts "Besonderes" mehr, der subjektiv wahrgenommene Wert nimmt also ab, auch wenn die Umgebung objektiv vielleicht immer noch umwerfend schön ist. Slow Traveling fühlt sich also nicht so an wie eine Art "Dauerurlaub".
  • Ständige Wechsel der Location bedeutet zwar, regelmäßig Neues entdecken zu können, es gibt aber auch wenig Konstanten. Ein Beispiel hierfür ist die hohe Fluktuation sozialer Kontakte. Das war früher im strukturierten Arbeitsalltag mit Kollegen oder mit Freunden anders und kann einem manchmal schon ein wenig fehlen.

Trotzdem will ich das aktuelle Leben zumindest in dieser Lebensphase nicht missen. Ich möchte nur ausdrücken, dass ich das digitale Nomadentum nicht so romantisiert darstellen will, wie es vielleicht einige Reiseblogger tun. Außerdem ist ja auch nicht verboten, irgendwann wieder irgendwo sesshaft zu werden :-).